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Ethik in der Evolution
die notwendige Entwicklung einer ethischen Haltung

Gastbeitrag von Dr. Jürgen Kunz

Zusammenfassung: Eine Firmenphilosophie, die eine ethisch-moralische Orientierung erkennen lässt, ist – aus der Perspektive der Evolutionsbiologie – eine Art Software. Sie erlaubt es allen Mitarbeitern, sich als wertvollen Bestandteil des Unternehmens zu präsentieren. Sie bringt ein Element in den Businessalltag, der eng mit Leistungsfähigkeit und kooperativem Verhalten verbunden ist: Vertrauen.

1. Die Evolutionsgeschichte in der Ethik: welche Herausforderungen bedürfen einer ethischen Lösung?

Als Ethik verstehen ich hier eine Haltung, die Menschen mit einer Orientierung bzgl. des höchsten Gutes der Gemeinschaft und der Frage, nach dem richtigen Verhalten versorgt.

Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass auch das Bedürfnis nach und die Fähigkeit zu ethischem Verhalten – wie viele andere mentalen Errungenschaften des Menschen – entstand, um soziale Herausforderungen zu meistern.

Soziale Interaktion

Um soziale Interaktionen produktiv zu gestalten, mussten unsere Vorfahren jede dieser Interaktionen und die dazugehörigen Personen abspeichern. Dies ist bis zu einer Gruppengröße von 150 Personen möglich. Ab dieser Grenze ist es aber schwierig, das zu gewährleisten ohne dass Einzelne Gefahr laufen übervorteilt zu werden. So konnten Primatologen zeigen, dass die Größe des Gehirns mit der Gruppengröße bei Primatenarten ansteigt. Um mehr Vertrauen untereinander herzustellen, entstanden neue Verhaltensweisen, wie beispielsweise der Konformismus. Hierbei gleichen Menschen ihr Verhaltens untereinander an. Ein anderes Beispiel ist der reziproke Altruismus, also Handlungen die anderen oder der Gruppe zugute kommen, für die es dann zeitversetzt und in anderen Kontexten eine Rückzahlung gibt. Man vertraut denen, die Teil der eigenen ethnischen Gemeinschaft sind und denen, die einen guten Ruf haben.

Vertrauen in Gruppen

Wie schwierig Vertrauen in größeren Gruppen herzustellen ist, zeigt die Entwicklung von Unternehmen nach dem Ende des Mittelalters. Ökonomie war damals Aufgabe von Familien. Unternehmen hingegen – in ihrer Eigenschaft als Companies of Strangers -, fehlte das nötige Vertrauen zwischen den Menschen (Paul Seabright. The Company of Strangers). Firmen hatten, wenn sie eine gewisse Größe erreicht hatten zwar Vorteile; mussten aber Kooperation erzwingen oder erkaufen. So waren die ersten größeren Unternehmen – wie die Hudson Bay Company – eher militärisch organisiert. In diese Unternehmen gab es vor allem vereinfachte und standardisierte Tätigkeiten, die Verpflichtung, das Verhalten der Mitarbeiter zu kontrollieren – auch im privaten Bereich – sowie ein vereinheitlichtes Äußeres und ein vereinheitlichtes Verhalten.

2. Ethik als Lösung unserer Vorfahren

Aus der Evolutionsbiologie läßt sich kein Gut und Böse ableiten. Die Naturgeschichte der Primaten zeigt, dass unsere haarigen Verwandten durchaus moralische Empörung kennen, wenn beispielsweise eine Gabe nicht erwidert wird. Die Tötung von Artgenossen aber, ob nun gruppenintern oder extern, nehmen sie im Eigeninteresse hin.

Auch beim Menschen läßt sich zeigen, dass ethisch-moralische Werte dann über Bord geworfen werden, wenn die eigene Existenz dauerhaft bedroht ist. Ein berühmtes Beispiel sind die Ik aus dem Kongo, die in einer solches Situation alle gesellschaftlichen Regeln über Bord warfen und selbst ihre Kinder vernachlässigten. Auch aus Europa gibt es solche Berichte, z.B. zu Zeiten der Pest. Die natürliche Auswahl belohnt Überleben und Reproduktion, nicht aber ethisches Verhalten per se. Damit ethisch-moralische Systeme überhaupt entstehen konnten, müssen Sie unseren Vorfahren einen großen Vorteil gebracht haben.

Ethisch-moralische Orientierung

An dieser Stelle gibt es somit den ersten Hinweis, warum eine ethisch-moralische Orientierung so wertvoll ist. Sie bedient das Bedürfnis nach Vertrauen und Gemeinschaft (und Komplexitätsverringerung), was so wertvoll ist, dass man diese erst dann aufgibt, wenn das eigene Leben bedroht ist.

Historisch ist in komplexeren Gesellschaften Ethik zumeist in religiöse Philosophien eingebettet. Diese werden von einer Reihe weiterer Elemente begleitet, wie teure Rituale, konformistisches Verhalten und Emotionen. Diese Aspekte werden in der weiteren Betrachtung außen vor gelassen. Am Beispiel der Diskussion um religiöse Philosophien soll im folgenden gezeigt werden, was genau Ethik so wertvoll machen kann.

3. Warum helfen ethisch-moralische Systeme beim Zusammenleben und Arbeiten?

Kulturwissenschaftler haben lange Kultur mit Verhalten gleichgesetzt. Auch in der Evolutionsbiologie entstand die Vorstellung (Reynolds & Tanner), dass religiöse Ethik Menschen dazu anleitet, sich angepasst und damit erfolgreich zu verhalten. Damit wäre auch Ethik eine jeder-kann-davon-profitieren-Anweisung. Diese Sichtweise hat leider drei Schönheitsfehler.

  • Menschen machen einfach nicht das was Sie vorgeben zu tun bzw. das was ihre Kultur ihnen vorgibt (die ethnologische Literatur ist voller Beispiele davon)
  • Viele Menschen kennen die Inhalte ihrer Religion oder anderen philosophischen Ausrichtungen nicht mal vollständig.
  • Zudem sagt die Evolutionsbiologie voraus (Dawkins & Krebs), dass Signale primär entstanden, um andere Personen zu beeinflussen. Signalempfänger entwickelten ihre Sinne in Reaktion darauf so, dass sie möglichst nicht zu ihrem Nachteil manipuliert werden. Dies führte zu einer Signalevolution für ehrliche Das sind Signale, die es dem Signalempfänger möglich machen, verlässliche Informationen über den Signalsender zu erhalten. Das ist der Kern der evolutionsbiologischen Kommunikationstheorie. Signale dienen zuerst dem Signalsender und sollten schwer-zu-fälschen sein, um auch dem Signalempfänger sinnvolle Informationen zugänglich zu machen. Diese Signalevolution kann man auch bei vielen Tierarten finden. Sie sind schwer-zu-fälschen oder ehrlich, da sie für den Signalsender mit Kosten bzw. Nachteilen verbunden sind (Evolutionsbiologen nennen das auch Handicap). Beispiele sind die ziemlich unpraktischen Pfauenfedern, oder das riskante Verhalten der Graudrosslinge, die sich der Gefahr aussetzen, von Greifvögeln erbeutet zu werden, um einen speziellen Rang im Vogelschwarm zu erringen.

Symbole mit Leben erfüllen

Aussagen über Götter, ein höchstes Prinzip oder Gut und damit verbundene moralische Werte erfüllen aber nicht das Kriterium eines schwer-zu-fälschenden Signals; sie sind nur Worte.

Es ist also überhaupt nicht zu erwarten, dass es eine Übereinstimmung von ideellen Kulturelementen wie ethischen Gebilden und dem Verhalten von Menschen gibt. Das wäre so als würde man erwarten, dass Gewerkschaften besonders arbeitnehmerfreundlich gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern sind. Ähnliches gilt für Kirchen.

Der Homo Symbolicus, der vor mehr als 100.000 Jahren entstand, strickt also virtuelle Welten, mit deren Hilfe Signale an die eignen Gruppe, den eigenen Stamm, aber auch das eigene Unternehmen gesendet werden. Und das vor allem in Situationen in denen Menschen unterschiedliche Interessen und Ziele haben. Aber warum?

4. Warum brauchen wir dann eine Ethik, wenn sie nicht zu Verhalten verpflichtet?

Folgerichtig kann niemand wissen, ob der Kollege oder der Nachbar tatsächlich an eine Ethik, oder im Fall religiöser Zusammenhänge (die historisch – in der Regel – Ethik transportieren) an Götter und die damit verbunden Werte glaubt. Man kann nicht in die Köpfe der Menschen hineinschauen, weshalb dies von Wissenschaftlern auch als unverifiable propositions oder supernatural claims bezeichnen. Vorstellungen von übernatürliche Wesen zum Beispiel sind nur dann etwas religiöses, wenn sie von mehreren Personen als solche akzeptiert werden. Ansonsten werden diese Vorstellungen eher als Spinnerei bezeichnet! Zudem müssen diese Personen Erwachsene sein, denn wer glaubt schon an die Wesen, deren Existenz man Kindern vorgaukelt?

Doch diese Akzeptanz ist leider auch kein hinreichendes Kriterium. Man kann ja immer noch nicht wissen, ob diese Leute das wirklich glauben, was sie vorgeben zu glauben.

Gemeinsame Aussagen geben Sicherheit

Gemeinsam eine Aussage zu verifizieren, die man nicht beweisen kann, bedeutet aber, eine kritische Haltung aufzugeben. Damit akzeptiert man den Einfluss anderer Personen, ohne sich auf seine eigene Wahrnehmung zu verlassen. Dadurch entstehen Beziehungen untereinander, die durch die gemeinsame Akzeptanz gegenseitigen Einflusses bestimmt wird.

Dies schafft Kooperation und Vertrauen unter Fremden. Religionen bzw. ethisch-moralische Philosophien bestehen aus Veranstaltungen bei denen über nicht zu beweisende oder sozial konstruierte Inhalte gesprochen wird, die die Gemeinschaft unterstützen.

Was hat das mit Storytelling zu tun

Das was ethisch-moralische Systeme ausmacht ist somit vor allem das Storytelling, also das gemeinsame sprechen über Werte und das ethisch-moralisch Richtige. Deshalb sind auch Ursprungsgeschichten (in Stammesgesellschaften aber auch in Unternehmen), aber durchaus auch Märchen und Mythen so weit verbreitet. Religiös muss das nicht sein. Dieser talk unterscheidet sich in der Art und Weise wie man spricht von der Alltagssprache, was ihm eine besondere Wertigkeit gibt.

Die Arbeitsweise des Limbischen Systemes: Zusammenfassung

Das Limbische System (die emotionale Schaltzentrale) des Menschen lebt in einer archaischen Welt. Es reagiert sehr sensibel auf vermeintliche Gefahren. In vielen Unternehmen arbeiten Menschen in andauernden Stresssituationen, was vom Limbischen System durchaus als existenzbedrohend interpretiert wird. Für diesen permanenten Stress gibt es viele Gründe. Einer ist, dass Menschen, die limbisch in einer Welt von Fremden arbeiten, einen ebenso archaischen Impuls zur Flucht, zum Kampf oder zum Erstarren (Totstellreflex) verspüren. Das führt zu einem Teufelskreis von Nichtbeachtung ethischer Standards, Misstrauen, noch mehr Stress etc. und damit verminderter Leistungsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine gemeinsame ethisch-moralische Orientierung Menschen nicht zwingend zu einem bestimmten Verhalten ermutigt. Sie ist auch nicht primär dazu da, Menschen den rechten Weg zu lehren, sondern diese durch ethische Grundprinzipien, in eine Vertrauenssituation zu bringen, wie sie ganz ähnlich in Familien vorherrscht.

Fremde zusammenbringen und Vertrauen schaffen

Ethische Grundprinzipien sind das Ergebnis einer Signalevolution (nicht der natürlichen Auswahl). Unternehmen sind mit dem gleichen Problem konfrontiert wie unsere Vorfahren vor 100.000 Jahren: wie schaffe ich Vertrauen unter Mitarbeitern einer Firma, die man auch als Company of Strangers bezeichnen kann.

Fehlt dieses Vertrauen, arbeiten Menschen unter dauerhaftem Stress, was weder der Gesundheit, noch den Arbeitsergebnissen gut tut.

Wichtig ist dabei vor allem die gemeinsame Akzeptanz des Ethiktalks oder des Storytellings, zum Beispiel über die Entstehungsgeschichte des Unternehmens, der Menschen verbindet. Es ist nicht zwingend der Glaube des Einzelnen an die damit verbundenen ethische Werte!

Storytelling ist deshalb von so großem Wert, da es den besonderen Wert in der Vergangenheit etablierter Werte nachvollziehbar macht. Und es ist wertvoll da Menschen aufgrund der Erkennbarkeit einer allgemeinen Akzeptanz der ethisch-moralischen Werte mit hoher Wahrscheinlichkeit danach handeln werden.

Dr. Jürgen Kunz

Interdisziplinäres Studium Biologie, Anthropologie, Sozialpsychologie.
Promotion im Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Uni Trier, arbeitet als Trainer und Coach.

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